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Lampedusas Fischer zwischen Tradition und Krise

23.11.2024

Die Fischer von Lampedusa stehen vor einer doppelten Herausforderung: Steigende Kosten und strenge Vorschriften gefährden ihre Existenz, während das Meer durch Relikte gesunkener Schiffe zunehmend verschmutzt wird. Doch sie kämpfen - für ihre Zukunft und die des Mittelmeers, das sie nährt und fordert.

Es ist noch früh, die ersten Sonnenstrahlen tauchen den Hafen von Lampedusa in ein warmes Licht, als Enzo Billeci mit seinem 20 Meter langen Kutter „Palermo Nostra“ anlegt, beladen mit der Ausbeute einer langen Nacht auf See. Müde, aber zufrieden erzählt Enzo von seinem Leben auf dem Wasser - und den Herausforderungen, die es mit sich bringt.

„Dieses Boot hat schon meinem Vater gehört“, beginnt Enzo. „Mit zehn Jahren habe ich angefangen, mit ihm zu fischen. Damals war das Leben einfacher. Wir haben Makrelen und Sardinen gefangen, mit Fischernetzen, die wir direkt hinter dem Boot ins Wasser gelassen haben. Es war harte Arbeit, aber es gab genug Fisch, und die ganze Gemeinde lebte davon.

Die Palermo Nostro fährt in den Hafen ein

Vom Wohlstand zur Herausforderung

Doch seit den 1990er Jahren hat sich vieles verändert. „Immer mehr tunesische Fischerboote kamen in unsere Gewässer. Sie waren zahlreicher und konnten billiger arbeiten“, erklärt Enzo. Die Konkurrenz zwang viele Fischer, aufzugeben oder sich umzuorientieren. „Wir mussten immer weiter hinausfahren, dem Fisch hinterher. Heute sind von 15 Booten auf der Insel nur noch wenige übrig.“

Enzo hat sich angepasst und fischt jetzt mit Schleppnetzen, aber auch das bringt neue Probleme mit sich. „Die Netze sind teuer und reißen oft an den Wrackteilen der Migrantenboote, die im Meer zurückbleiben. Das sind unsere wirklichen Sorgen - kaputte Netze, verschmutztes Wasser und weniger Fisch“, sagt er mit ernster Stimme.

Die Schleppnetze an Bord der Palermo Nostro

Migration: eine andere Perspektive

Die Migration, für viele das vorherrschende Bild von Lampedusa, sieht Enzo mit nüchterner Gelassenheit. „Migranten sind hier nichts Neues. Schon immer kamen Menschen über das Meer, auf der Suche nach einem besseren Leben. Und wer in Seenot ist, wird gerettet - das ist ein Gesetz des Meeres“, sagt er überzeugt.

Er erinnert sich an den 3. Oktober 2013, ein Tag, der ihm immer noch Gänsehaut bereitet. 

An diesem Tag kenterte ein völlig überfülltes Boot mit mehr als 500 Menschen an Bord vor der Küste Lampedusas. Über 360 Menschen verloren ihr Leben – ein tragisches Ereignis, das die Insel erschütterte und die Weltaufmerksamkeit auf Lampedusa lenkte.

„Ich kam dazu, als die Rettung schon fast abgeschlossen war. Überall Tote. Der Gedanke daran lässt mich zittern. Aber das Meer kann erbarmungslos sein. Wir, die wir es kennen, haben eine Verantwortung.“

Enzo spürt, wie sich die Insel verändert. „Die gesunkenen Boote hinterlassen nicht nur menschliche Tragödien, sondern auch Spuren in unserem Alltag. Ihre Wrackteile zerstören unsere Netze, und der Treibstoff, der ins Meer gelangt, schadet der Umwelt. Hinzu kommt, dass die Fischbestände, vor allem die Tiefseefische, immer knapper werden.

Ein Fischer beim täglichen Reparieren der Netze, die durch eines der gesunkenen Schiffswracks beschädigt wurden

Ein Fischer und sein Meer

Trotz aller Schwierigkeiten liebt Enzo sein Leben. „Ich würde alles wieder genauso machen. Lampedusa ist mein Zuhause, das Meer mein Leben“, sagt er stolz. Seine Erzählungen sind wie Märchen - von Delphinen, die spielerisch mit ihm um Fische konkurrieren, bis zu stürmischen Nächten auf See, die ihm alles abverlangten.

Zum Abschied drückt er mir einen Beutel mit frisch gefangenen Tintenfischen in die Hand. „Nimm sie, probiere sie. Dann wirst du verstehen, warum unser Meer so besonders ist.“ Als ich den Hafen verlasse, wird mir klar: Enzo steht für die Widerstandskraft und Hingabe, die die Menschen dieser Insel mit dem Meer verbindet. Aber ihre Zukunft bleibt ungewiss - zwischen den Wellen der Geschichte und den Tücken der Gegenwart.

Der Fischer Enzo Billeci beim Vertäuen des Schiffs