Wo Blumen blühen...
Datum: | 17. Juli – 4. Aug. 2019 |
Veranstaltungsorte: | heimart, Neufelden, Österreich |
Werke: |
Die österreichische Künstlerin Tanja Boukal setzt sich in ihren Arbeiten mit der Würde des Menschen auseinander. Sozial relevante und politisch explosive Fragen, die um Ausgrenzung, Flucht und Gewalt kreisen, werden in verschiedenen textilen Techniken verarbeitet und lenken den Blick des Betrachters auf einen speziellen Aspekt des Themas „Garten Eden“.
Tanja Boukal ist unterwegs zu den Krisenherden dieser Welt. Immer wieder hält sie sich in Flüchtlingslagern oder Kriegsgebieten auf und teilt ihre Zeit mit Menschen in Extremsituationen. Die Eindrücke und Fotos, die dabei entstehen, verarbeitet sie auf vielfältige Weise in ihren Werken. Sie verfügt dabei über ein großes Repertoire an handwerklichen Fertigkeiten und setzt traditionelle, oft äußerst zeitintensive Textiltechniken wie Sticken oder Stricken ebenso ein wie neue Technologien, auf die sie spielerisch zugreift.
Tanja Boukals Arbeiten faszinieren durch die teilweise fotorealistische Kraft der Umsetzung. Sie bilden Schicksale, Portraits und beklemmende Situationen ab, die zwar schonungslos gezeigt, gleichzeitig aber nicht zur Schau gestellt werden. Durch die teils monatelange Arbeit, die in ihnen steckt, bekommt die Kürze des Augenblicks, in dem das Foto aufgenommen wurde, eine ewige Note. Die Länge des Herstellungsprozesses seziert die Geschehnisse in einzelne Stiche, Maschen oder Schusseinträge, sodass Arbeiten entstehen, die unter die Haut gehen und Tiefen freilegen, die sich hinter der Summe all dieser einzelnen Augenblicke verbergen.
Tanja Boukal wurde in Wien zur Kunststickerin ausgebildet und studierte Bühnenbild und Dekoration. Ihre Liebe zum Handwerk und zur technischen Perfektion durchzieht ihr Werk ebenso wie ihre gesellschaftspolitische Haltung. In ihrem jüngsten Werkzyklus beschäftigt sie sich mit der Sprache der Blumen - auch Floriographie genannt. Darunter versteht man eine verborgene Kommunikation durch die Verwendung bestimmter Blumenarten, die symbolisch beladen ist. Diese Sprache war im asiatischen Kulturkreis, aber auch im Viktorianischen England gebräuchlich, um Botschaften zu übermitteln, die in der rigiden Gesellschaft nicht ausgesprochen werden durften. Es gab sogar Wörterbücher, mit denen Sender und Empfänger die Sprache der Blumen übersetzen konnten. Für die Ausstellung in Neufelden hat Tanja Boukal prächtige Blumen auf Jacquardgewebe gestickt, in die Bilder ertrunkener Flüchtlingskinder eingewebt sind. Diese Blumen – aufwändig in der dreidimensionalen Stumpworktechnik gestickt, die ihre Blütezeit im England des 17. Jahrhunderts hatte – erzählen von Hass, Angst, Hoffnung, Tod oder Wiedergeburt, sind jedoch nur für diejenigen zu entschlüsseln, die sich auf eine neue Sprache einlassen.
Das Beispiel der Blumen zeigt deutlich, dass Tanja Boukals Arbeiten oft durch den gezielten Einsatz krasser Kontraste bestechen, durch die Irritation, die beim Betrachten von vermeintlich Schönem entsteht, das seine dunklen Seiten erst bei einem zweiten Blick offenbart. So wie die Blumen erst lieblich und hübsch wirken und nur bei näherer Beschäftigung ihre oft schwarzen Botschaften kommunizieren, so trägt auch das von Tanja Boukal gewählte textile Medium selbst bereits diese Doppelbödigkeit in sich. Durch seine Weichheit und alltägliche Präsenz wird das Textile oft mit Intimität, Weiblichkeit und Sanftheit assoziiert. Dass eine vermeintlich harmlose „Handarbeit“ einen bleischweren Inhalt in sich trägt, bringt unsere klassischen Zuordnungen ins Wanken, erzeugt neue Bedeutungsebenen und berührt auf unmittelbare und befremdliche Weise.
Besonders drastisch wird diese Irritation bei dem großen Werk „Schutzwall“ spürbar, das das Herzstück der Ausstellung in Neufelden bildet. Die Installation besteht aus mehreren, ca. 4 m hohen Bahnen, auf denen Maschen– und Stacheldrahtzäune zu sehen sind – gewebt als weiches, kuscheliges Frottiergewebe, das zum Reinschmiegen einlädt. Die Installation lässt die Besucher/innen Teil einer realen Situation in der Stadt Melilla werden, eine spanische Enklave an der nordafrikanischen Küste. Diese Stadt wird von sechs bis sieben Meter hohen Stacheldrahtzäunen umgeben, die sie von ihrem marokkanischen Umland trennen. Tausende Menschen haben in den letzten Jahren oft erfolglos versucht, diese zu überwinden, um voller Hoffnungen den „Garten Eden“ Europa zu erreichen.